Chor auf den Demenzstationen des BRK-Seniorenhauses in Kronach

Das Singen im Chor mit "meinen" Senioren macht uns allen große Freude:

Fotos: Rainer Renk, Franz Behrschmidt, Claudia Röther, Heike Reier

Artikel für örtliche Presse vom April 2017 - mit freundlicher Genehmigung von Autorin Heike Schülein

Die Lieder vergessen sie nicht

Es ist ein besonderer Chor, der alle zwei Wochen - immer donnerstags - in der Hausgemeinschaft des Kronacher BRK-Seniorenhauses zusammenkommt. Unter Leitung von Silvia Wachter stimmen demenzerkrankte Bewohner gemeinsam Lieder an.

Kronach- „Schön, dass Sie alle da sind“ - Mit fröhlichem Lachen begrüßt Silvia Wachter die rund 25 Chormitglieder persönlich mit Handschlag: „Hallo Marga, Mathilde, Gertrud. Grüß dich, Annemarie, mein Schatz.“ Und da gibt es noch die vier „Quotenmänner“. Einer von ihnen heißt sie charmant mit Handkuss willkommen. „Sind sie nicht putzig? Ich habe sie alle so gern!“, strahlt die derart „Liebkoste“ übers ganze Gesicht, bevor sie etwas nachdenklicher ergänzt. „Ich mag ältere Menschen. Sie sind so wie Kinder, von Grund auf ehrlich.“

Und ehrlich ist die Freude der Heimbewohner, die sich an diesem Donnerstagnachmittag zum gemeinsamen Singen eingefunden haben, ganz sicher. Einige werden von einer Betreuerin an der Hand geführt oder im Rollstuhl gebracht. Andere kommen mit Hilfe eines Rollators oder schaffen den Weg ohne Hilfe. Überraschend schnell nehmen alle ihre Sitzplätze in einem großen Halbkreis um Silvia Wachter ein, die mit ihrer Gitarre startklar ist. Schnell noch einige Liederblätter ausgeteilt, dann geht es los. „Alle Vöglein sind schon da“, singt die - aus Nordhalben stammende - Marktrodacherin - und der Chor stimmt in die wohlbekannte Melodie mit ein. Auch die Texte zu „Mein Vater war ein Wandersmann“ oder „Es klappert die Mühle am rauschenden Bach!“ geht flott über die Lippen „Das hat große Freude gemacht“, meint ein Dame. Diesen Satz sagt sie noch oft in den 60 Minuten. „Es macht auch viel Freude, mit Euch zu singen“, antwortet die Chorleiterin, und man glaubt es ihr aufs Wort!

Wenn diese voller Wertschätzung von „ihren Senioren“ spricht, spürt man deutlich, dass ihr der Hausgemeinschafts-Chor „Herztöne“ selbst eine „Herzensangelegenheit“ ist. Den Chor gibt es seit Januar 2016. Seitdem singt und musiziert sie im 14-tägigen Rhythmus mit Bewohnern, Angehörigen und Mitarbeiterinnen. Noch gut kann sie sich daran erinnern, wie im Herbst 2015 die Leiterin der Hausgemeinschaften, Tatjana Daum, an sie mit der Gründung des Chors herantrat. Silvia Wachters Mutter lebte damals in einer dieser drei speziell für demenzerkrankte Menschen eingerichteten Hausgemeinschaften. Schon vor Chor-Gründung hatte die Angehörige bei verschiedenen Anlässen im Jahreskreis die Bewohner mit ihrer Musik erfreut. „Dass ich singe und dass man mich buchen kann, ist ja hinreichend bekannt. Aber von einer Chorleitung hatte ich überhaupt keine Ahnung“, blickt sie zurück. Dennoch wollte sie es trotzdem einmal probieren. „Ich war beim ersten Mal total aufgeregt und stand mit wackligen Beinen vor dem Chor“, schmunzelt sie. Vorher hatte sie sich viele Gedanken gemacht, welche Lieder geeignet seien. Man begann mit Volks- und Heimatliedern, später kamen Schlager hinzu. So umfasst das Repertoire mittlerweile um die 70 Lieder. Gesungen wird immer donnerstags - im 14-tägigen Rhythmus, normalerweise. Dass man dieses Mal etwas in Verzug ist, hat einen traurigen Grund: Den Tod von Silvia Wachters Mutter, die auch im Chor mitsang. „Aber ich werde weitermachen, weil ich so viel Dankbarkeit spüre“, ist sie gerührt. Sie singe immer gerne, um die Menschen zu erfreuen. Zudem sei das Hobby ein schöner Ausgleich zu ihrer Arbeit in der Bank. Aber das Chor-Projekt sei noch eine Steigerung. Natürlich sei dieses Amt mit Zeit und Arbeit verbunden. „Aber man bekommt es tausendfach zurück. Ich gehe jedes Mal lachend und mit dem guten Gefühl heim, etwas Wertvolles und Sinnvolles getan zu haben“, ist sie überzeugt.

Dies bestätigen Tatjana Daum und die stellvertretende Heimleiterin, Tanja Seuling, die der Chorleiterin als Zeichen ihres Dankes einen Blumengruß überreichte. Musik gehöre unabdingbar dazu: zur Beruhigung und Anregung, positiven und emotionalen Stimulierung und zur Bewegungsmotivation. Auf der geistigen Ebene trainiere die Musik das Gedächtnis und rege Denkprozesse und -strukturen an. Durch das Zusammenspiel der Töne werden Spannung und Entspannung hervorgerufen. Auf der Gefühlsebene kann Musik Gefühle aktivieren, Erinnerungen an schöne Zeiten wecken, beruhigen und stimulieren. Auf der körperlichen Ebene hört unser Ohr die Musik, was entsprechende Hirnregionen stimuliert. Sie beeinflusst Kreislauf und Puls positiv. Musik entspannt die Muskulatur und lädt Füße und Finger zum Mitwippen ein. Der Klang von Musik kann bei Bewegungsübungen motivieren. „In der psychosozialen Betreuung unserer Bewohner nimmt die Musik einen großen Platz ein. Singen, aktives Musizieren und Musikhören helfen, Selbstvertrauen, Kommunikations- und die Kontaktfähigkeit zu stärken und Isolation und Vereinsamung entgegen zu wirken. Musik in der Gruppe vermittelt das Gefühl der Geborgenheit, Schutz und Freude in der Gemeinschaft“, erklären sie. Singen im Chor trainiert die Atmung intensiv und kurbelt nicht nur im ganzen Organismus die Durchblutung und die Sauerstoffversorgung an, sondern stimuliert auch aktiv das Immunsystem. Die Stimme und das gesamte Sprechorgan werden beansprucht und gefordert. Die Aufmerksamkeit und Konzentration, das Erinnern an bekannte Melodien lassen Freude entstehen, Alltagssorgen vergessen und wecken ein positives Lebensgefühl, das oft noch lange durch den Tag trägt.

Wie recht sie damit haben, wird bei der Singstunde deutlich. Die Sänger und Sängerinnen - Sie blühen regelrecht auf. Lächelnd singen sie mit - die einen leiser, die anderen lauter. Andere hören auch nur zu - unglaublich emotional, was die Musik in ihnen freisetzt. „Es macht Freude, gemeinsam zu singen“, sagt die Dame wieder, während einer anderen eine Träne die Wange hinab läuft. „Ja, das ist so schön, dass man weinen muss“, meint die Musikerin, die aufgrund der Erkrankung ihrer Mutter einen Demenzhelferkurs absolviert hatte. Zwischen den Liedern werden Atem-, Dehn- und Lach-Joga-Übungen gemacht und auch eine Trinkpause eingelegt, um die Stimme zu ölen - natürlich nicht, ohne vorher ein „Prosit der Gemütlichkeit“ anzustimmen oder „Es gibt kein Bier auf Hawaii“. Passenderweise werden Weinlieder geschmettert wie „Einmal am Rhein“ oder „Wenn das Wasser im Rhein goldener Wein wär“ - und auch das ein oder andere Tänzchen wird gewagt. Dann erklingt das „Kufsteinlied“, inklusive Jodler. „Da geht einem das Herz auf“, sagt Silvia Wachter, während sie zu „Lustig ist das Zigeunerleben“ überleitet.

Ihren Abschluss findet die Singstunde mit „Ade zur guten Nacht“ und einem Dankgebet für den Herrgott im Himmel. Silvia Wachter verabschiedet sich wieder mit Handschlag von ihrem Chor, für den jetzt Abendessen angesagt ist. „Das hat große Freude gemacht“, sagt die Dame noch einmal. Recht hat sie. hs